Mit Kulturen spielt man nicht
Am 18. März tritt das Unesco-Abkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in Kraft. Doch nur zwölf der 27 europäischen Staaten haben es ratifiziert.
Heute gibt es weltweit etwa 6000 Sprachen. Die Hälfte davon drohen laut Unesco zu verschwinden. Es mussten mehr als 60 Jahre seit der Gründung der Organisation vergehen, bis das „Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ verfasst wurde. Am 18. März 2007 tritt es endlich in Kraft. Lediglich 35 Staaten haben es ratifiziert, davon zwölf aus Europa. Zu den europäischen Ländern, die die Unterschrift verweigerten, zählen Großbritannien, Deutschland, Italien, Portugal, Belgien und die Niederlande.
Laut dem Statistik-Institut der Unesco produzieren die USA, Großbritannien und China zusammen 40 Prozent der Kultur auf der Welt, während Lateinamerika und Afrika zusammen nur vier Prozent produzieren. Der internationale Handel mit Kulturgütern hat sich in zehn Jahren verdoppelt. Er lässt den Trend hin zu einem exponentiellen, wenn auch unausgewogenen Wachstum erkennen: Immer weniger Länder kontrollieren immer mehr Märkte. Die Vorlieben eines Amerikaners und eines Russen gleichen sich immer weiter an. In Barcelona lebt jeder in der Nähe eines japanischen Restaurants, aber in den meisten Kinos werden keine katalanischen Filme gezeigt.
Die kulturelle Ausnahme
Zum ersten Mal löste eine kulturelle Vereinbarung solch eine heftige Debatte zwischen zwei Lagern aus: auf der einen Seite stehen Länder wie die USA, Japan und Großbritannien, die die Ansicht vertreten, Kultur sei ein Produkt wie Fleisch oder Autos, das sich den Kräften des freien Marktes unterwerfen solle und das man demnach auch nicht schützen dürfe. Auf der anderen Seite stehen die Traditionalisten, angeführt von Frankreich und Kanada. In diesen Ländern herrscht die so genannte „kulturelle Ausnahme“. Das Eingreifen des Staates in Kulturfragen wird für rechtmäßig erklärt, um die internationale Verzerrung in der Marktwirtschaft auszugleichen.
Bei den GATT-Verhandlungen 1993 setzte die Europäische Union (EU), angeführt von Frankreich, deshalb das Problem der kulturellen Ausnahme auf die Tagesordnung. Damit stellte sich die EU den USA entgegen. Die Befürworter der Ausnahme verteidigen die Kulturindustrien eines jeden Landes gegenüber kommerziellen Mega-Produktionen wie dem Hollywood-Kino. Sie argumentieren, dass der Weltmarkt ein falscher freier Markt sei: Er werde von wenigen Firmen dominiert, die in US-amerikanischer Hand seien.
In diesem Kontext wird man sich bewusst, dass für Aufrechterhaltung der kulturellen Ausnahme eine Bejahung der Identität der regionalen Minderheiten nötig ist. Deshalb beginnt die Europäische Union nun, in diesem Sinne zu arbeiten. Sie zeigt, dass man den freien Markt, staatlichen Protektionismus und kulturelle Vielfalt versöhnen kann: Dies garantieren im audio-visuellen Bereich Abkommen wie Televisión sin fronteras („Fernsehen ohne Grenzen“) und das MEDIA-Programm der EU.
Philosophische oder ökonomische Debatte?
Kann man die Liberalisierung des freien Handels mit kultureller Vielfalt vereinbaren? In ihrem Text scheint die Unesco dies zu bejahen: „kulturelle Aktivitäten, Güter und Dienstleistungen sind sowohl wirtschaftlicher als auch kultureller Natur, da sie Träger von Identitäten, Werten und Sinn sind. Sie dürfen deshalb nicht so behandelt werden, als hätten sie nur einen kommerziellen Wert“, heißt es in der Vereinbarung. Und weiter: „Die kulturelle Vielfalt wird durch den freien Austausch von Ideen gestärkt“.
Auch Josep Ramoneda, Leiter des Zentrums für zeitgenössische Kultur in Barcelona, plädiert für einen Mittelweg zwischen der liberalen und der staatlichen: „Die Staaten sollten die Erklärung zur kulturellen Vielfalt unterstützen. Doch es gibt kulturelle, kosmopolitische Kräfte, die darüber hinaus existieren. Dem Wandel kann man keine Fesseln anlegen. Zum Glück ist die Übertragung von Ideen auf der ganzen Welt unaufhaltbar. Und obwohl das Risiko besteht, dass der stärkste gewinnt, wäre das Risiko größer, diesen Austausch zu verhindern und Ghettos zu produzieren. Die Kultur ist eins, universal, und geht über nationale Grenzen hinaus.“
Weniger optimistisch und pragmatischer zeigt sich José María O’Kean, Dozent für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Pablo Olavide in Sevilla: „Es existiert keine supranationale Macht, die die Fehler des globalen Marktes regulieren würde. Organismen wie die Unesco stellen Normen auf, die die Staaten unterschreiben, aber danach nicht erfüllen. Wer ist schon gegen die Kultur der verschiedenen Völker? Niemand. Aber ich bin sehr skeptisch. Englisch ist die vorherrschende Sprache. Obwohl jede Sprache respektiert werden muss, weiß ich nicht, ob es sinnvoll ist, einem Kind eine Sprache beizubringen, nur weil diese kulturell bedeutend ist, aber ihm weniger nützt als Englisch.“
Der Text wurde aus Café Babel entlehnt.
© Pablo Mendoza Casp, 2006-2014